Überblick zur Entstehung des Schweizer Arbeitsrechts

Das heutige Arbeitsrecht ist ein sehr junges Rechtsgebiet. Es entstand erst zu der Zeit der modernen Industrialisierung. Zwischen 1798 und 1802 wurde in der Helvetischen Republik die Zunftordnung abgelöst und der Vertrag als Grundlage der Arbeitsverhältnisse etabliert. Zudem war die Handels- und Gewerbefreiheit das herrschende Prinzip, bis die alte Zunftordnung nach dem Untergang der Helvetik wieder eingeführt wurde. 1874 jedoch, fand die Handels- und Gewerbefreiheit -welche unsere heutige Wirschaftsfreiheit darstellt- Einzug in die Bundesverfassung.

Während des 18. Jh. war die Heimarbeit weit verbreitet, allerdings begann gegen Ende desselben Jh. die Verlagerung zum Fabrikbetrieb. Für die einen war dies ein Segen, für andere ein Fluch. Die Handels- und Gewerbefreiheit ermöglichte wirtschaftlichen Aufschwung, bedeutete für die Arbeiter aber brutale Ausbeutung. Die Arbeitsbedingungen in der Schweiz wichen nicht nennenswert von der Situation in anderen Ländern ab, waren sie jedoch aber nicht ganz so katastrophal.

Um diesen elenden Zustand zu beenden und den Arbeiterschutz auszubauen, führte 1864 der Kanton Glarus das erste Fabrikgesetz in Kontinentaleuropa ein. Das Gesetz verbot Nachtarbeit, Kinderarbeit bis zum 13. Altersjahr und beschränkte die Arbeitszeit auf 12 Stunden pro Tag. Mehrere Kantone folgten dem Glarnen Beispiel, übernahmen jedoch vielfach nur die Regelung zur Kinderarbeit.

So wurde 1874 im Zuge der Verfassungsrevision die öffentlich-rechtliche Kompetenz zur Regelung der Arbeit in die Bundesverfassung aufgenommen (der heutige Art. 110 BV). Gestützt auf diese Kompetenz erliess der Bund 1877 das erste eidgenössische Fabrikgesetz. Dieses Gesetz stütze sich auf das praxiserprobte Glarner Fabrikgesetz. Das Gesetz umfasste zahlreiche Punkte, bspw. Bestimmungen zum Schutz der Frau (Verbot gefährlicher Arbeiten, längere Mittagspause für Hausfrauen), Hygiene und Unfallverhütung. Ob das Gesetz auch tatsächlich eingehalten wurde, wurde durch eidgenössische Fabrikinspektoren überprüft, die eigens dafür geschaffen wurden.

Der Erlass dieses eidgenössischen Gesetzes konnte aber nicht alle notwendigen Regelungen auf einmal vornehmen. Deshalb kam es 1911 dazu, dass das Dienstvertragsrecht zum Schutze der Arbeitnehmer (und auf Kosten der Vertragsfreiheit, welche die Arbeitgeber missbrauchten) vollständig überarbeitet wurde. Zeitgleich wurden erstmals die GAV (Gesamtarbeitsverträge) und NAV (Normalarbeitsverträge) im OR geregelt.

1914 wurde ebenfalls das Fabrikgesetz vollends erneuert. Inhalt der Revision waren unter anderem der Kündigungsschutz und Lohnschutzbestimmungen (namentlich der Lohnzuschlag bei Überstundenarbeit, sowie bei Sonntags- und Nachtarbeit).

Der Ausbruch des ersten Weltkrieges führte aber dazu, dass das neue Gesetz nie in Kraft getreten ist. Wegen den völlig veränderten politischen und sozialen Nachkriegsverhältnissen war das Gesetz nach Kriegsende auch nicht mehr zeitgemäss. Die Arbeiter stellten 1918 während des Generalstreiks radikale Forderungen, wie z.B. 8-Stunden-Tage. Der Erfolg des Streiks blieb aus, nahm aber auf die Gesetzgebung Einfluss. So wurde 1920 ein erneut überarbeitetes Fabrikgesetz erlassen, das eine Beschränkung auf eine 48-Stunden-Woche enthielt.

Quelle: Geiser, Thomas/Müller, Roland. Arbeitsrecht in der Schweiz. 2. Aufl., Bern 2011